yetis Welt | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Dekadente DampffahrtDuplizität der Ereignisse, wohin man auch schaute. Bewältigte man letztes Jahr noch die Strecke zum Auswärtsspiel in Magdeburg mit dem Rad, wählte man heuer wieder einen für Fußballreisen besonderen Weg. Auch Stimmung und Spiel waren aus Union-Sicht wieder überragend, doch der Reihe nach. Schöneweide, 8.30 Uhr morgens an einem Samstag. Normalerweise ist zu der Zeit nicht viel los. Normalerweise, denn wer an dem Tag durch den Bahnhof schlenderte sah ca. 270 relativ finstere und breite Gestalten, die auf etwas ganz Besonders warteten: Einen Zug, der älter ist als 99 Prozent seiner Insassen. Nein, hier machten sich keine vom Leben enttäuschten Eisenbahnfreaks auf den Weg zu einer nostalgischen Kaffeefahrt, sondern Unioner zum Spiel ihrer Mannschaft nach Magdeburg.An der Spitze des Zuges war eine uralte Dampflok, deren Front der Schriftzug ‚Eisern Berlin’ und der Berliner Bär zierte. Dahinter waren Wagen, die zum Teil noch aus dem Jahre 1936 stammen und ein dementsprechendes Flair versprühten. Nackte Holzbänke gab es darin ebenso, wie nobel gepolsterte Ohrensessel, die ein wenig an das komfortable Zugreisen im Film ‚In 80 Tagen um die Welt’ erinnerten. In der Mitte des Zuges befand sich der sogenannte Buffetwagen, der bis oben hin mit Suff beladen war und die gesamte Fahrt auch dementsprechend gut frequentiert wurde. Fast alle Fenster konnte man problemlos öffnen und so war zum Beginn der Fahrt so ziemlich jedes von einem faszinierten, erwachsenen Kind besetzt, das total begeistert von dem schnaubenden Ungetüm an der Spitze des Zuges nach vorn starrte. Herrlich…wenn Männer spielen. Irgendwann gingen die großen Kinder dann aber zum Wesentlichen über und tranken alle reichlich, was irgendwann dazu führte, dass sie ihre Notdurft verrichten mussten. Doch wer eine Toilette suchte, wurde enttäuscht. Die stillen Örtchen hießen in dem Zug nämlich noch Abort, was sächsisch ausgesprochen nicht nur cool klingt, sondern auch dementsprechend urig aussah. Die Fahrt verging sehr schnell und kurz vorm Bahnhof Magdeburg-Herrenkrug kam die Nachricht, dass es von dort einen Shuttle per Straßenbahn geben sollte. Da die Meute jedoch nicht aussteigen wollte, hielt unser Dampfzug auf der zweigleisigen Strecke alles auf, darunter auch einen Regionalzug mit weiteren Unionern. Als dann irgendwann alle aus dem Zug in die Straßenbahn gefallen waren, ging es dann endlich los, bis ein leicht angetrunkener aber nicht minder witziger Mensch auf die Idee kam, die Fahrt per Notbremse zu verlangsamen. Natürlich flog alles durcheinander, was die Insassen der Tram ziemlich spaßig fanden. Das realisierte auch der witzige, angetrunkene Mensch und trieb das lustige Spielchen noch einige Male, bis es den Herren in grün nach einer Station und ca. sieben Notbremsungen zu viel wurde. Alle raus aus der Bahn, die fünf Kilometer werden gelaufen. Natürlich nicht allein, denn die Insassen des Zuges, der zuvor noch auf freier Strecke wegen uns warten musste, kamen auch noch dazu und erhöhten den Assifaktor ums Tausendfache. Pfui! Irgendwann erreichte der nun ca. 800 Mann starke Mob dann auch das Stadion, wo nach kurzer Zeit jeder den Gästeblock betrat, der nicht noch die geplante Choreo fertig stellen musste. Das klappte gerade noch bis zum Anpfiff und so boten die ca. 2.500 Unioner den insgesamt 12.874 Zuschauern im charmelosen Stadion Magdeburg die Fortsetzung der Choreo des letzten Jahres. Dunkelblaue Folien, 64 Pappsterne, ein großer roter Stern mit Logo und dazu ein großes Spruchband mit der Fortsetzung eines bekannten Union-Lieds ‚…wie ein Stern am Himmelszelt…’. Meiner Meinung nach bis auf den großen Stern absolut gelungen, was man von der Anfangsphase des Spiels leider nicht sagen konnte. Schon nach zwei Minuten netzte unser ehemaliger Publikumsliebling Florian Müller, der jetzt im Trikot der Magdeburger spielt, mit der ersten Chance zur Führung für die Bördebauern ein. Doch weder das Team, noch die mitgereisten Unioner ließen sich davon schrecken und gaben weiterhin alles. Magdeburg sowohl auf den Rängen, als auch auf dem Platz absolut unterirdisch und so kam das ‚Hier regiert der FCU!’ nicht von ungefähr. Leider vermochte die Mannschaft zunächst ihre Überlegenheit nicht in Tore umzumünzen. Ecken ohne Ende, doch wirklich zwingende Chancen ergaben sich daraus nicht. Zur zweiten Halbzeit nahm der Autor des Berichts dann einen Blockwechsel vor und fand sich nach dem Vollquatschen eines Ordners im Sitzplatzbereich wieder. Auch hier eine bombastische Stimmung und so schaffte die Mannschaft durch einen herrlichen Kopfball von Ruprecht 15 Minuten vor Schluss tatsächlich noch den Ausgleich. Ekstase pur im Gästebereich und auf dem Platz blieb Union auch weiter am Ball. Leider ohne Erfolg, denn es blieb beim Unentschieden. Geblieben war nach Spielschluss auch der Großteil des Gästeanhangs, der noch eine halbe Stunde nach Abpfiff die Mannschaft zum gemeinsamen Feiern aus der Kabine holte. Da der Rückweg ca. 100 motivierten Leuten zu monoton erschien, versuchten sie aus dem Polizeikessel auszubrechen, was beim zweiten Versuch auch klappte. Flinken Fußes bewegte sich der Mob auf zwei Kneipen voller Magdeburger zu, die sich jedoch in ihrer eigenen Stadt lieber darin versteckten und einen Harten machten. Nun ja, ein paar Schellen gab es dann doch noch, ehe ‚Team Green’ wieder alles im Griff hatte und die Meute zurück zu ihrem glamourösen Zug brachte. Eingestiegen, Beine hoch und Augen zu…wäre die jugendfreie Variante, tatsächlich entwickelte sich aber eine Party, die ihres Gleichen sucht. Kein Durchkommen mehr zur Bar, so voll war es. Leute, die es dann doch mal geschafft hatten, zogen gleich mit vier Getränken von dannen und dementsprechend stieg auch die Stimmung im Zug. Zumindest ein Wagen kochte, als ein gar nicht mehr so junges Geburtstagskind sein Geschenk anprobierte: Ein String aus Bonbons, den jede vorbeikommende Frau an der ‚richtigen Stelle’ anknabberte. Nachdem das einige Kerle nachgemacht hatten, stand der gar nicht mehr so junge Mann dann nackt da und fand es total geil. Was darauf folgte, war dem Anlass angemessen und muss hier nicht weiter beschrieben werden. Nach ca. vier Stunden Fahrt fielen alle ziemlich fertig aus dem Zug und zumindest ich würde am liebsten zu jedem Auswärtsspiel derart dekadent reisen, auch wenn es nicht ganz preiswert ist. Ein rundum gelungener Tag, dem nur ein Union-Tor zur Perfektion fehlte. Kommentar schreiben [ Letzte Seite ] [ Seite 7 von 15 ] [ Nächste Seite ] |
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