Hannovera locuta, causa finita

Stadionverbote in Hannover

11:47, 17-Apr-2007 .. 672 Kommentare .. Link

So manch ein Kurvengänger dürfte sich gegen Dortmund über einen sitzenden und schweigenden N16 gewundert haben. Mit Glück und Konzentration konnte man eine Ansage des Megaphoncapos vernehmen und Dank eines schnell gesprühten Spruchbandes eventuell erschließen, dass dieser spontane Protest irgend etwas mit Stadionverboten zu tun haben müsste. Leider erreichte uns völlig unvorbereitet am Sonnabend vor zwei Wochen die Kunde, dass in diverse Haushalte der Region Hannover ein Einschreiben mit einem bundesweiten Stadionverbot bis 2009 flatterte. Geschockt darüber, dass langjährige Freunde von uns für lange Zeit ausgesperrt werden, überlegte man sich spontanen Protest für die Partie gegen Dortmund. Dieser konnte natürlich nicht mehr in der Kürze der Zeit ausreichend an Außenstehende kommuniziert werden, aber wir sahen keine Alternative zur sofortigen sichtbaren und vernehmbar Aktion. Die Brigade Nord, auch von den Stadionverboten betroffen, schloss sich uns an und es blieb tatsächlich die ersten 10 Minuten fast durchweg gespenstisch still in der Kurve..

Unsere Mannschaft hätte eigentlich eine lautstarke Unterstützung verdient und wir haben bewusst nicht versucht jemandem die von uns gewählte Stille aufzuoktroyieren, aber solange man jederzeit zu Unrecht für lange Zeit von seinem Lebensinhalt ausgeschlossen werden kann, muss man auch mal unangenehme Wege gehen, um auf Mißstände aufmerksam zu machen. Denn unsere Freunde werden nach langen Jahren, in denen sie den Großteil ihres Geldes und all ihr Herzblut in 96 gesteckt haben, weitaus länger als 10 Minuten schweigen müssen.

Auf den Inhalt schwebender Verfahren möchten wir verständlicherweise nicht in diesem Medium eingehen und hier jetzt über Schuld und Unschuld urteilen möchten wir erst recht nicht. So etwas maßen wir uns nicht an. Das machen dagegen seit Jahren die Vereine und die Polizei. Mit Stadionverboten haben sie eine Strafe, die sie an Richtern und Gerichten vorbei verhängen dürfen. Eine Strafe für die ein Anfangsverdacht reicht oder eine Empfehlung selbsternannter Richter in Uniform. Während einer unserer wichtigsten Rechtsgrundsätze die Unschuld solange gelten lässt bis Schuld gesprochen ist, wird hier die Strafe verhängt lange bevor überhaupt klar ist ob eine Anklage erhoben wird.

Argumentiert wird damit, dass es gar keine Strafe sei, sondern eine präventive Maßnahme, um die Sicherheit bei Fußballspielen zu gewährleisten. Leider ist es aber so ziemlich die härteste Strafe, die sich ein Fan vorstellen kann. Jahrelang vom Lebensinhalt und dem sozialen Umfeld ausgeschlossen zu sein, dürfte jeden Fan härter treffen als eine Geldstrafe, Sozialstunden oder eine Bewährungsstrafe. Zwei, drei oder gar fünf Jahre ohne Fußball können unmöglich die angemessene Strafe für eine kleine Verfehlung sein. Von den zahlreichen Fällen, in denen es Unschuldige trifft, ganz zu schweigen.

Und ob die Strafen präventiv sind, steht auch auf einem anderen Blatt. Natürlich kann man für jemanden der schon mal beim Fußball auffällig war (egal ob derjenige jetzt zu Recht oder aufgrund Versagens der Polizeikräfte in den Fokus selbiger gerückt ist), eine größere Gefahrenprognose erstellen, als jemandem der ein völlig unbeschriebenes Blatt ist. Aber ob derjenige wirklich eine Gefahr für die Sicherheit im Stadion ist, sagt irgend ein Polizeiverdacht sicher alles andere als kompetent aus. Zumal die Stadien unserer Tage nicht mehr der Hort der Hooliganschlachten von einst sind und man mit fortschrittlicher Sicherheitstechnik brenzlige Situationen im Keim erkennen und ersticken kann. Die wirklichen Gefahrenherde sind irgendwo außerhalb, wo sich nun vielleicht auch die Jungs mit Stadionverbot aufhalten, um ein bißchen von der geliebten Atmosphäre des Spieltages aufzusaugen.

Solange es eine riesige Dunkelziffer unberechtigter Stadionverbote gibt und die Richtlinien Willkür ermöglichen, muss man diese Richtlinien hinterfragen und nach Lösungen streben, die die Sicherheit beim Fußball nicht unterhöhlen, andererseits aber auch zu transparenteren Maßnahmen und gerechteren Strafen führen.

Das Positionspapier der Frankfurter Fans (nachzulesen unter http://www.fanabteilung.de/portal/downloads/positionspapier-sv.pdf) kann dabei als Diskussionsgrundlage dienen. Ebenso weiß ein Modell des FC St. Pauli zu gefallen, welches zukünftig Anwendung finden soll.

Hier die Eckpunkte dieses Modells:

1. Klarere Trennung von Anhörungsrecht und Erteilung des Stadionverbots: Ähnlich wie bei den Fällen rund um das Chemnitz-Spiel sollen die Betroffenen erst ein Schreiben erhalten, in dem das Stadionverbot angekündigt und der Betroffene zu Anhörung/Stellungnahme gebeten wird.Hierbei soll klar auf die mögliche Hilfe des Fanbeauftragten / Fan-Projekts hingewiesen werden

2. Bei der Erteilung des Stadionverbots soll die Laufzeit abhängig gemacht werden vom Einzelfall: Inhalt und Form der Einlassung des/der Betroffenen, Persönlichkeit und Geschichte des/der Betroffenen, Betrachtung des Vorfalls und dessen Entstehung (statt Katalogisierung nach Straftatbestand).

3. Die Dauer der Stadionverbote soll unter 1 Jahr Dauer liegen, in den meisten Fällen sogar deutlich darunter. Gemäß der Bestimmungen ist eine Aussetzung nach der Hälfte der Stadionverbotsdauer möglich, ggf. gegen Auflagen.

4. Diese Auflagen sollen nicht nur im direkten Umfeld des Vereins liegen, sondern auch in benachbarten Projekten wie bspw. Café mit Herz, BallKult, Bauspielplatz u.ä.

5. Nur in Extremfällen soll ein Ausschuss wie nach dem Chemnitz-Spiel einberufen werden.

(Quelle: Fanladen St.Pauli)

Wir hoffen, dass St.Pauli damit Vorbild für andere Vereine werden kann und die Angst vor willkürlichen Stadionverboten nicht für immer der stete Begleiter des Fußballfans ist.

Artikel zu Stadionverboten aus dem Kurvengedanken Nummer 66 der Ultras Hannover



Über mich

Kalender

«  April 2007  »
MonTueWedThuFriSatSun
 1
2345678
9101112131415
16171819202122
23242526272829
30 

Letzte Einträge

Links

Kategorien

Freunde