Fußnoten zur Fußballgeschichte

Schlesienseminar

{ 23:15, 29-Nov-2009 } { 0 Kommentare } { Link }

Das XIV. vom Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit und der Diözese Oppeln ausgerichtete Schlesienseminar im September 2009 stand in diesem Jahr unter dem Motto „Vereine, Verbände, Bruderschaften, Bewegungen und ihre Bedeutung für Schlesien. Gestern-heute-morgen“ Im Rahmen dieses Seminars kam es zu einer Podiumsdiskussion, an der neben mir Dr. Piotr Greiner (Direktor des Staatsarchivs in Kattowitz), Sebastian Rosenbaum (Institut für Nationales Gedenken, Kattowitz) und Dr. Lech Krzyżanowski (Abteilung für Neuste Geschichte 1918–1945, Universität Schlesien, Kattowitz) teilnahmen und die sich dem Vortrag „Sportvereine in der Woiwodschaft Schlesien bis zum Jahr 1939“ von Dr. Antoni Steuer vom Museum für Geschichte der Stadt Kattowitz anschloss, der insbesondere für seine Erforschung der Entstehung des polnischen Vereins- und Verbandswesens durch das polnische Plebiszitkommissariats und die Entwicklung in der Zwischenkriegszeit bekannt ist. Da sich das Schlesienseminar grundsätzlich jedoch ganz Schlesien verpflichtet sieht, bot sich für mich daher im Rahmen der Podiumsdiskussion die Gelegenheit, insbesondere den Sport am Beispiel des beliebtesten Spiels überhaupt, des Fußballs, im Hinblick auch auf Nieder- und Westoberschlesien historisch sowie die nationale Komponente auch mit Blick auf Gegenwart und Zukunft zu beleuchten. Aus meinen Notizen sowie Stichworten aus der Diskussion kann ich meine Ausführungen im Folgenden weitgehend rekonstruieren, auch wenn sie hier neu aufbereitet sind:

 

Schaut man sich die Stellung des Fußballsports in Polen an, so fällt auf, dass im zentralen Wohngebiet der deutschen Minderheit, der Wojewodschaft Oppeln, die Dichte an Vereinen im landesweiten Vergleich am höchsten ist. Auf 2.737 Einwohner fällt hier eine gemeldete Mannschaft. Die Dichte ist hier fast drei mal so hoch wie im landesweiten Durchschnitt, da polenweit auf 7.439 Einwohner eine Mannschaft kommt; am ungünstigsten stellt sich die Lage im Nordosten des Landes, in der Wojewodschaft Podlachien dar, wo auf 17.536 Einwohner eine Mannschaft fällt.

 

Deutsche Vereinsmeierei

Die hohe Dichte im Oppelner Gebiet kann sicher als ein soziales Vermächtnis gedeutet werden, da die autochthone Einwohnerschaft die Tradition „deutscher Vereinsmeierei“ ein Stück weit über die Jahrzehnte bewahrt hat. Gleichwohl erreicht die Vereinsdichte nicht die bundesdeutschen Werte von einer Mannschaft auf 836 Einwohner im gesamtdeutschen Schnitt. Führend ist übrigens das Saaraland mit einer Mannschaft auf 564 Einwohner, während in den einst sozialistisch dirigierten neuen Bundesländern (mit Berlin) der Schnitt mit 1.114 Einwohner, die auf eine Mannschaft fallen, am ungünstigsten ausfällt, selbst wenn dieser Wert immer noch doppelt so hoch wie in Westoberschlesien ist. Wir sehen also an diesen Zahlen, wie langlebig Mentalitäten auch im regionalen Sportgeschehen sind.

Zunächst muss ich auf wesentliche Unterschiede der deutschen zur polnischen Sportgeschichte aufmerksam machen, damit nicht der Eindruck entsteht, die doch eher kleinräumigen und zeitlich sehr begrenzten Ausführungen Dr. Steuers besäßen Allgemeingültigkeit. Denn anders als in der polnischen Tradition begegnet uns im frühen deutschen Sport eine lange Konkurrenz von Turnen und Sport, die aus polnischer Sicht überraschend erscheinen mag. So war die Turnbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts quasi aus den Napoleonischen Befreiungskriegen hervorgegangen, da sie dem Ziel der Wehrhaftigkeit der national zu formenden deutschen Jugend dienen sollte. Die Turnväter Jahn und Friesen traten so auch als erste Mitglieder überhaupt dem Lützowschen Freikorps bei, aus dem die deutschen Farben schwarz-rot-gold hervorgingen, als sie in Breslau weilten. Die Verankerung in der Schüler- und Studentenschaft brachte gleichwohl viele Probleme mit der Obrigkeit mit sich. 1837 stellte der preußische Staat es den Gymnasien frei wieder Gymnastik zu betreiben, nachdem in Breslau und Liegnitz 1818 zunächst die Turnplätze aufgrund der  Breslauer Turnfehde geschlossen wurden und 1820 sogar eine allgemeine Turnsperre verhängt worden war. 1847 wurde in Görlitz Schlesiens erster Turnverein gegründet. Mit dem Scheitern der Revolution 1848 ließ das Interesse nach, während infolge des Coburger Turn- und Jugendfestes 1860 innerhalb von zwei Jahren deutschlandweit 1.000 Vereine aus dem Boden schossen. Frühe schlesische Turnvereine existierten in Breslau, Brieg, Grünberg, Haynau, Neumarkt, Landshut und Hirschberg. Als das 8. Deutsche Turnfest 1894 in Breslau begangen wurde, war das Turnen bereits so weit etabliert, dass der der erste Arbeiterturnvereins Breslaus gegründet wurde.

 

Deutsches Turnen contra englischer Sport

Von Außen gab es dennoch Kritik, wie Prof. Horst Ueberhorst in seinem Buch „Vergangen nicht vergessen – Sportkultur im deutschen Osten und im Sudetenland“ im Hinblick auf nur 11.500 Teilnehmer im Gegensatz zu 20.000 fünf Jahre zuvor in München unter Hinweis auf die Deutsche Turnerzeitung betont, die konstatierte: „Der Osten Deutschlands und seine Hauptstadt Breslau – seit jeher sind sie im Norden, Westen und Süden des Vaterlandes verkannt oder – unbekannt – verleumdet“, um weiter festzustellen, dass Breslau eine quasi „halbasiatische Stadt am verlorenen Ende“ sei.

Zwei Jahre zuvor war es  am 6. September 1892 zu einem ersten öffentlich dargebotenen Fußballspiel in Breslau gekommen, aus der die Spielriege innerhalb des ATV hervorging und aus der 1898 der FC Breslau (später VfB) als erster Fußballklub Schlesiens gegründet wurde. Die Konkurrenz des Fußballs als „englischem Sport“ zum dem „deutschen Turnen“ hatte im bevölkerungsärmeren und weitläufigerem Osten weniger Sprengkraft als in anderen Teilen des Reiches. Während das starre Turnen als deutsch, von den jüngeren jedoch als oft langweilig empfunden wurde, konnte der Wettkampfgeist des englischen Sports mehr Anziehungskraft verbreiten. So fand auch die in den 1870er Jahren von Görlitz ausgehende Jugend- und Spielbewegung Emil von Schenkendorffs großen Zulauf, innerhalb der verschiedene Ballspiele auch dem Fußball den Boden bereiteten. Der 1886 in Zülz geborene Michael Münzer begründete aus ebenfalls sozialemanzipatorischen Gründen 1902 einen Sportverband, aus dem 1904 der Oberschlesische Spiel- und Eislaufverband hervorging. Der Lehrer Münzer sah sich damit insbesondere sozial und gesundheitlich schwachen Schülern verpflichtet. Mit diesem Wirken entfaltete der Sport durch die Einbindung unterprivilegierter Schichten auch eine nationale Integration im sprachlich vielschichtigen Revier. Den eigentlichen Siegeszug als Ballsportverband trat freilich nach dem 1. Weltkrieg der Deutsche Fußballbund an, dessen erster oberschlesischer Verein der SV Ratibor 03 war.

 

Erstes Fußballspiel 1892

Dass Oberschlesien zunächst noch sportlich hinterherhinkte, ist auch daran ablesbar, dass der Südostdeutsche Fußballverband (SOFV) als Regionalverband des Deutschen Fußballbundes für Schlesien, die brandenburgische Niederlausitz und die Mark Posen 1906 nur aus der Vereinigung der regionalen Verbände Breslaus und der Niederlausitz (Hochburgen waren Forst und Cottbus) hervorging, während Oberschlesien verbandsmäßig noch nicht erschlossen war. Alle Meister des SOFV bis 1928 kamen aus Niederschlesien und Forst/Lausitz, während der Massensport Fußball mit der SOFV-Meisterschaft des SC Preußen Zaborze 1929 dort erst den sportlichen Durchbruch schaffte, den Beutehn 09 und Vorwärts-Rasensport Gleiwitz als danach führende Klubs gegenüber Breslau sogar festigen konnten. Der 1. Weltkrieg hatte an allen Fronten die breiten Schichten mit dem Fußball vertraut gemacht und in den Feuerpausen zu Freundschaftsspielen zwischen den Nationen geführt, die sich kurz darauf mit Waffen wieder gegenüberstanden. Die nationale Trennung im Sport traf so genau die Phase der explosionsartigen Ausbreitung des Fußballspiels. So initiierte das Polnische Plebiszitkommissariat quasi alle polnischen Vereinsgründungen im nun polnischen Ostoberschlesien, während die Pionierklubs als deutsche Vereine nun Hindernissen ausgesetzt waren. Auf die Entwicklung des FC Preußen 05 Kattowitz, dem späteren 1.FC brauche ich hier nicht näher einzugehen, da Adam Celder, Präsident des Vorstandes des 1. FC Kattowitz, im Laufe des Tages noch zu uns spricht und über die Reaktivierung des 1945 erloschenen 1. FC aus dem Kreis der Schlesischen Autonomiebewegung berichtet (Anm.: Celder betonte später, die Neugründung sei ein Stück der Wiedererlangung des historischen Erbes Schlesiens im Sport). Andere Vereinschicksale sind oft vergessen worden, wie die auf Druck erfolgte Inkorporation des Bismarckhütter BC in den neuen Klub Ruch Chorzów, die Ruch zu einem Spielgelände verhalf. Diesen Aspekt der Geschichte Ruchs hebe ich auch deswegen hervor, da der Polnische Fußballverband PZPN das in der Presse viel beachtete Ruch-Fantransparent „Oberschlesien“ (in deutscher Sprache) dieser Tage aus den Stadien verbannt hat, da es nationalen Unfrieden stifte. Aus meiner Sicht unverständlich, gerade wenn diese nationale Umformung vor Augen hat und meint ein nationales Exempel statuieren zu müssen. Eine nationale Gelassenheit scheint im Fußball der positiven Minderheitenrechtsgestaltung in Polen weit hinterherzuhinken.

 

Europäische Standards

Insofern möchte ich als einziger bundesdeutscher Diskutant mit einer Beobachtung schließen, die in die gleiche Richtung zielt. Mich wundert, dass in den zahlreichen Orten der Wojewodschaft Oppeln, in der die Deutsche Minderheit die Mehrheit der Bevölkerung stellt, bislang keine historischen Klubs im Rahmen der Traditionspflege wieder gegründet wurden. Diese nahe liegende Idee überließ man der nationalübergreifenden Autonomiebewegung für das Revier, die mit dem bereits erwähnten 1. FC Kattowitz den einzigen vor dem Kriege existierenden Verein Oberschlesiens neu schuf. Immerhin gibt es einige Vereine Oberschlesiens, die zumindest ein Vorkriegsgründungsjahr im Namen führen, das auf einen früheren Verein im Ort hinweist.

KS 06 Lechia Myslowitz (hervorgegangen aus Borussia 06 Myslowitz)

LKS 07 Markowitz

LZS TOR 1926 Groß Döbern (Tor ist eine Abkürzung und steht wohlgemerkt nicht für das „Tor“)

LKS Slask 1911 Reinschdorf

Einziger mir bekannter Verein mit deutschem Namen in der Wojewodschaft Oppeln ist der LZS „DFK“ Lenschütz, der jedoch auch keinen historischen Namen führt, sondern vom DFK, als dem „Deutschen Freundschaftskreis“ als Ortsverband der Minderheit getragen wird und sich dabei den polnischen „Vornamen“ LZS leistet. Der den Oberschlesiern oft eigene vorauseilende Gehorsam hat sich m.E. in einem modernen Europa offener Bürgergesellschaften überlebt. Anhand einiger auf Folie gezeigter Vereinswappen möchte ich Sie daher mit der „Normalität“ ethnisch geformter Vereine aus Westeuropa vertraut machen, die häufig einen wichtigen emanzipatorischen Weg gehen und fester Bestandteil im Ligaalltag geworden sind.

FC Südtirol/Alto Adige Bozen/Bolzano: Mit der doppelten Führung in deutscher und polnischer Sprache richtet sich der Verein aus Südtirols Hauptstadt gleichberechtigt an beide Nationalitäten der Region

In der mehrheitlich deutschsprachigen Provinz hingegen, verzichtet der „italienische“ Klub Sportgemeischaft Rasen/Antholz/Olang wie fast alle Vereine der Region gänzlich auf die Beifügung des Namens in Italienisch

Polonia Wuppertal führt im Vereinswappen nicht nur den Namen Polonia, sondern vereint heraldisch den Bergischen Löwen und den Polnischen Adler, der die polnische Fahne schwenkt. Man stelle sich einen oberschlesischen Verein namens Germania und schwarz-rot-goldenen Farben vor. Der Skandal wäre perfekt. Poloniavereine bestehen in mehreren deutschen Großstädten.

Stellvertretend für die immense Anzahl türkischer Vereine, von denen bereits viele wegen ihrer Integrationsarbeit ausgezeichnet wurden, das Wappen von Türkiyemspor Wuppertal, das die Umrisse der Türkei zeigt. Deutschlands Umrisse bei einem deutschen Klub in Polen dürften heute ebenfalls kaum Akzeptanz finden.

Als Extrembeispiel liberaler Maßstäbe bei der Vereinszulassung möchte ich den arabischen FC Al-Kauthar Berlin anführen, der mir persönlich dann doch zu weit geht. Neben dem Bezug auf die in Mitteleuropa fragwürdige 108. Sure des Korans „Al-Kauthar“ (Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Wir haben dir die Überfülle gegeben. Darum bete zu deinem Herrn und schlachte. Wahrlich, der dich hasst, ist es, welcher der Amputierte ist) erschreckt das Vereinswappen dadurch, dass es die Umrisse des historischen Palästinas zeigt und damit indirekt Israels Existenzrecht in Frage stellt. Auch hier die Frage: Was wäre los, wenn ein deutscher Klub in Oberschlesien als Wappen Deutschland in den Grenzen von 1937 oder 1918 zeigen würde? Fazit: Nicht alles muss als Vorbild dienen, sollte jedoch die Augen öffnen, dass das Vereinswesen der deutschen Minderheit in Schlesien noch immensen Spielraum bei der Wiedererlangung unterdrückter Identität hat!



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