Fußnoten zur Fußballgeschichte

Legenden um die Anfänge

{ 22:38, 8-Jul-2007 } { 4 Kommentare } { Link }

Häufig ist zu hören, Rugbybundesligist Hannover 78 sei der erste deutsche und somit auch hannoversche Fußballklub gewesen. Das ist nach heutigen Maßstäben nicht ganz richtig, denn der von Georg Leux 1885 gegründete und später dem Blau-Weiß 90 Berlin-Vorläufer Union 92 beigetretene "BFC Frankfurt 1885" (Leux stammte aus Frankfurt) war der erste Verein, der von Anbeginn mit dem runden Leder spielte. Und genau dieses machte Hannover 96 selber auch erst 1901 nach ersten Versuchen im Jahre 1899 zu seinem Hauptspielgerät, während Hannover 78 bis heute ein führender Rugbyverein geblieben ist. Tatsächlich nannten sowohl die 78-er wie auch Hannover 96 das, was sie seinerzeit betrieben, Fußball. Das war damals auch nicht ungewöhnlich. So gibt es heute z.B. noch heute den 1899 gegründeten FC Schwalbe Döhren in Hannover, dessen Kürzel FC wie selbstverständlich für Fußballklub steht. Während sich also 78 und 96 im gegenseitigen „Raufduell“ maßen, vollzog sich an der Universität Historisches. Am 31. Januar 1898 heftete Paul Boelcke, Vetter des berühmten späteren Kriegsfliegers Oswald Boelcke, dort einen Anschlag an das „Schwarze Brett“, in dem er sportbegeisterte Studenten zur Pflege des Fußballspieles suchte. Aufgrund des Erfolges des Aufrufes konnte am 10. Februar der „Akademische Fußall-Club“ (AFC) in Gestalt einer Studentenverbindung ins Leben gerufen werden. Eventuell beeinflusst durch die regionale Herkunft der treibenden Gründungsmitglieder des studentischen Klubs, die wohl vornehmlich aus dem Gebiete des heutigen Sachsen-Anhalts kamen, wo die neue Ballspielversion schon Fuß gefasst hatte, wurde nun erstmals in Hannover gegen die runde Lederkugel gekickt; es war die Geburtsstunde des Fußballs heutigen Verständnisses. Hintergrund für den Trend zum „Associationsspiel“, wie man diese Variante im Gegensatz zum Rugby damals noch nannte (der amerikanische Begriff Soccer geht darauf zurück), war im Deutschland der Kaiserzeit unter anderem der Umstand, dass es als weniger englisch galt. So wurde hierzulande daran gefeilt, englische Begriffe aus dem Sport zu verbannen und sie durch Deutsche zu ersetzten. Auch die Vereinsnamen der frühen Zeit sind ein Spiegelbild davon. Arminia, Borussia, Minerva oder Saxonia - aus allen diesen Namen ist der völkische Geist ablesbar. Ein weiteres Beispiel findet sich im ersten lokalen Gegner der Akademiker, der zwei Monate später gegründeten „Hannovera 98“, mit der man auf dem Waterlooplatz oder in der Steint(h)ormasch die Kräfte maß. 1903 wurde nach der Gründung weiterer Vereine der „Verband Hannoverscher Ballspiel-Vereine“ (VHBV) ins Leben gerufen, der sich die Durchführung eines Spielbetriebes zum Ziel setzte und dessen erster Vorsitzender der Akademiker Otto Hirseland wurde. Die erstmals ausgespielte Hannoversche Meisterschaft gewann 1904 der mittlerweile „Akademischer Ballspiel- und Ruderverein“ genannte Ex-AFC, der sich im Übrigen bereits im vereinsinternen Streite seiner jüdischen Mitglieder entledigt hatte. Im Saisonverlauf hatten die Akademiker sogar Hannover 96 mit 6:1 geschlagen, was gleichzeitig die Teilnahme an der zum zweiten Male ausgerichteten Meisterschaft des DFB bedeutete. Im Viertelfinale gingen dabei neun(!) Hannoveraner mit 0:11 beim Hamburger SV-Vorläufer Germania unter. Am Tage des Spieles erschienen die Kicker nicht vollzählig am Bahnhof, da einige die Nacht zuvor zum Tage gemacht hatten und bei einer studentischen Kneipentour versackt waren! Für die Akademiker bedeutete die Meisterschaftspleite den ersten und einzigen Höhepunkt der Geschichte. Schon im Folgejahr sicherte sich 96 die Meisterschaft in der Stadtliga, aus der sich die Akademiker zurückgezogen hatten. Wie dem Vereinsnamen zu entnehmen ist, hatten diese am standesgemäßeren Rudersport Gefallen gefunden - 1906 gab man die damals spöttisch so bezeichnete „Fußlümmelei“ endgültig auf und wurde zum reinen Ruderklub, der heutigen Rudergemeinschaft Angaria - und dabei ist man doch Hannovers erster Fußballklub heutigen Verständnisses gewesen! Der VHBV übrigens ging bereits 1905 mit den Verbänden von Hamburg/Altona, Kiel, Unterweser (Bremen) und des Herzogtums Braunschweig im Norddeutschen Gesamtverband auf, womit die hannoverschen Stadtmeister im weiteren nicht mehr direkt für die Deutsche Meisterschaft zugelassen waren, sondern sich erst auf Norddeutscher Ebene durchsetzten mussten. Was jedoch den Stolz Pionier zu sein betrifft, haben dennoch sowohl die 78er und 96er recht: Der Deutsche Fußball-Verein 1878 etablierte den Rasensport in der Stadt, was die spätere Entwicklung erst möglich machte, und die Roten sind indirekt der älteste noch bestehende Fußballklub Hannovers.

Durch die 1913 erfolgte Fusion des Hannoverschen „FC“ von 1896 und der bereits länger Fußball modernen Verständnisses spielenden „Hannovera 98“ zum heutigen „HSV“ von 1896 kann man einen kontinuierlichen Spielbetrieb mit runder Lederkugel bei den Roten bis auf das Jahr 1898 zurückverfolgen. Die Akademiker hingegen bleiben eine Fußnote aus der wilden Pionierzeit, in der auf Exerzierplätzen vor Spielbeginn die Tore aufgebaut wurden, deren Latten quergespannte Leinen bildeten.



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