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Der Untergang des deutschen Vereinsfußballs

23:35, 25. August 2008 .. Geschrieben in Gastschreiber .. 0 Kommentare .. Link
Eine Betrachtung zu den jüngsten Entwicklungen im Streit um die TV-Rechte im deutschen Fußball.

von sig für das Programmheft des 1. FC Union Berlin

„Krieg um Fußball“, schreibt die ‚Süddeutsche Zeitung’. Ein „ungeheuerlicher Schlag“, meint Manfred Müller, Geschäftsführer bei Werder Bremen, der „den deutschen Profifußball um Jahre zurückwerfen könnte“, so Reinhard Rauball, Liga-Verbandspräsident, der für die DFL „Fesseln wie in keiner anderen Liga“ sieht. „Das schlägt ins Kontor“, stimmt Karl-Heinz Rummenigge ein. Er bangt, die bittere Wahrheit (der Leistungsstagnation) irgendwann „dem Fan“ mitteilen zu müssen. Nun ist es raus, und der Aufschrei ist groß. Der deutsche Fußball ist am Sterben. Schuld ist (nein, nicht unsere Nr. 4) - das Kartellamt. Das hatte entschieden, dass eine Zentralvermarktung der Fernsehrechte nicht einseitig die Verbraucher belasten dürfe. „Nötigung“ nennt Müller das. „Aufforderung zum Betrug“ unterstellt Sirius-Manager Dieter Hahn den Wettbewerbshütern, die Uli Hoeneß gar bei „den öffentlich-rechtlichen Sendern unter Vertrag“ vermutet.

Aber gehen wir der Reihe nach: Im April berichtet die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung’ über ein internes Papier der DFL. Danach erhält die Leo-Kirch-Firma Sirius die Exklusivrechte zur TV-Vermarktung der Bundesligen. Berichte im frei empfangbaren Fernsehen werde es möglicherweise künftig erst nach 22 Uhr geben, und es drohe eine weitere Aufsplitterung der Spieltage.

Kurz vor der EM platzt die Bombe: Die DFL macht ihre Pläne zur Spieltagsgestaltung ab 2009 publik, mit bitteren Pillen für jeden Fußballanhänger: An jedem Spieltag der ersten und zweiten Liga gibt es ab Sommer 2009 acht, zum Teil sogar neun unterschiedliche Anstoßzeiten. Die zweite Liga erhält noch erheblich unattraktivere Termine als bisher: Freitags 18 Uhr, ein Spiel samstags, 13 Uhr, das Montagsspiel und vier Spiele am Sonntag. Uhrzeit: 12.30 Uhr. Fast die Hälfte aller Zweitligaspiele für Auswärtsfahrer nur noch mit Urlaub erreichbar. Daneben die familienunfreundliche, den Amateurfußball ebenso wie Kirchgänger beeinträchtigende Anstoßzeit am frühen Sonntagmittag. Längst vorbei die Zeiten, als man am Ende eines Spieles den neuen Tabellenplatz kannte. Die TV-Vermarktung bestimmt alles. Besorgte Fanvertreter fragen sich, ob die dritte Liga dann demnächst 10 Uhr vormittags ihren Live-Sendeplatz erhält.

Das ist sogar Premiere zu viel des Schlechten. Michael Börnicke, Vorstandsvorsitzender, erklärt, dass „die Zerstückelung des Spieltags in diesem Maß... nicht auf dem Wunsch von Premiere“ beruhe. Vor allem aber schmeckt es Premiere nicht, dass die Kirch-Firma künftig mitverdient und Premiere als Rechteerwerber die fertigen Sendungen von Sirius vorgesetzt bekäme, ohne sich noch selbst redaktionell einbringen zu können. Das Bundeskartellamt wird angerufen. Dieses entscheidet, zum Missfallen auch von Premiere, dass der Vertrag der DFL mit Sirius zulässig sei, aber nur dann, wenn er die (Free-TV-)Konsumenten nicht unangemessen benachteiligt. Während Liga-Spitzenmanager und Werbepartner unisono vor Wut schäumen, scheint es, als hätte die Sportschau im Ersten doch noch Zukunft.

Tatsächlich wird die Kirch-Firma unter diesen Bedingungen nicht wie geplant 0,5 Mrd. Euro pro Saison an die DFL überweisen (derzeitige Einnahme 420 Mio. Euro). Den Clubs geht damit Geld verloren. Rauball droht bereits mit höheren Eintrittspreisen. Dass eine Sendung wie die Sportschau dem Pay-TV nicht nur Kunden entzieht, sondern maßgeblich dazu beiträgt, das Bedürfnis nach (TV-)Fußball auf hohem Niveau zu halten, und somit praktisch eine kostenlose Dauerwerbung für die Liga ist, spielt kurzfristig für die Vermarkter keine Rolle. Proficlubs verlieren mehr und mehr ihren Charme als bodenständige Sportvereine und unterwerfen sich als Unternehmen den knallharten Gesetzen der Geldverwertung. Die Beteiligten in dieser Verwertungskette können kaum noch anders denken: Geld = Erfolg. Und umso größere Beträge im Spiel sind, desto höher die eigene Marge. Einem Uli Hoeneß fällt es entsprechend schwer, zu begreifen, dass es FC-Bayern-Mitglieder gibt, die sich von anderen Werten leiten lassen, als dem Vergleich mit europäischen Spitzenclubs.

Dahinter verbirgt sich freilich ein ganz grundlegender Kulturstreit. Für die meisten von uns, die wir Woche für Woche ins Stadion pilgern, egal in welcher Liga unser geliebter Verein spielt, ist der sportliche Erfolg wichtig und reizvoll – noch bedeutender aber ist für uns, dass wir wir bleiben. Dass wir die Traditionen des Vereins weiterführen und unsere Fankultur ausleben. Dazu sind Champions-League-Triumphe von Bayern München nicht erforderlich, wohl aber Spieltermine, die uns den Stadionbesuch erlauben. - Daneben gibt es die große Gruppe derer, denen die Farben des Vereins eigentlich egal sind; Hauptsache, Massenevents und das Gefühl, Weltspitze zu sehen. Wenn der Fußball das nicht mehr leistet, geht man eben zum Basketball, zum Techno-Umzug oder zum Musikantenstadl.

Fußball ist für alle da, auch für Erfolgsfans, die letztlich ebenso wie alle anderen Spaß haben wollen. Die Gegner unbeschränkter Kommerzialisierung haben aber eben auch ihren Anspruch auf den deutschen Spitzenfußball und sind gut beraten, ihre Stimme zu erheben. Fanorganisationen wie Pro-Fans, die eher den aktiven Teil der Zuschauer vertreten (also diejenigen, die auch schon Fans waren, bevor der inflationäre Gebrauch dieses Begriffes einsetzte), nehmen die Bedrohung der Fankultur nicht schweigend hin. Protestpostkarten an die DFL werden vorbereitet, die von möglichst vielen abgesendet werden sollen. Der ‚VIRUS’ wird sich beteiligen, so dass die Karten im September auch in unserer Fanszene verteilt werden können. Ein bundesweiter Fan-Protesttag steht ebenso in Rede wie eine gemeinsame Demo in Frankfurt. Der Erfolg ist fraglich, aber wer sich aufgibt, ist verloren.

Für den deutschen Vereinsfußball an Europas Spitze gibt es vielleicht trotzdem noch eine Chance. In einem kleinen Nest im Badischen scheint es an Geld nicht zu mangeln. Die TSG 1899 Hoffenheim als Champions-League-Sieger 2010 - das wär’s doch!

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